L1 Luftverkehr
Der Fachbereich
Dr. Annika Paul und Wolfgang Grimme leiten den Fachbereich L1 Luftverkehr der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR). Die Schwerpunkte ihrer Arbeit liegen im interdisziplinären Dialog zwischen ingenieur- und wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen.
Denn die Anforderungen an den Luftverkehr der Zukunft im Allgemeinen und an die technische Gestaltung der Luftfahrzeuge im Besonderen werden aufgrund der Anforderung der Nutzer und der gesamten Gesellschaft immer komplexer: Eine Erhöhung der Sicherheit und niedrigere Betriebskosten sollen einhergehen mit einer Verringerung von Lärm und Emissionen. Diese simultanen Anforderungen stoßen immer stärker an Grenzen des technisch Machbaren – eine Priorisierung der Ziele ist somit unerlässlich. Hier kann die Einbindung von weiteren wissenschaftlichen Disziplinen neben der rein ingenieur- und naturwissenschaftlichen Betrachtung wertvolle Beiträge zur gesamtgesellschaftlichen Bewertung bieten. Insbesondere die volkswirtschaftliche Bewertung von Nutzen und Kosten, Arbeitsplatzeffekten und den darüber hinausgehenden positiven wie negativen Wirkungen des Gesamtsystems Luftverkehr ist daher eine sinnvolle Ergänzung.
Neue Herausforderungen für den Luftverkehr
Der Luftverkehr steht in Zukunft vor bahnbrechenden Änderungen. Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs oder die Nutzung von (Flüssig-)Wasserstoff als Kraftstoff werden nicht nur komplett neue Flugzeugarchitekturen erfordern, sondern auch die Infrastrukturen am Boden maßgeblich verändern. Hinzu kommen die technischen Möglichkeiten des autonomen Fliegens, die Einführung des Luftverkehrs als Bestandteil urbaner Mobilität oder der Einsatz synthetischer, CO2-neutraler Kraftstoffe. Alle diese Innovationen können dazu beitragen, bestehende Mobilitätsangebote nachhaltiger zu gestalten oder neue Mobilitätsangebote zu etablieren. Dabei sollen die Geschäftsmodelle ökologisch wie ökonomisch nachhaltig sein und den Nutzen für die gesamte Gesellschaft erhöhen.
Allerdings sind die Herausforderungen bis diese Ziele erreicht werden können nicht zu unterschätzen. Eine Vielzahl von Faktoren ist zu berücksichtigen, etwa die Pfadabhängigkeit von Infrastrukturinvestitionen und deren Auswirkungen auf die wirtschaftliche Nachhaltigkeit von Flugzeugkonzepten oder auch die Lebenszyklusbetrachtung der Bodeninfrastrukturen und des Fluggeräts. Gerade diese Betrachtungen auf Systemebene machen die Gestaltung des zukünftigen Luftverkehrs aber auch so spannend und herausfordernd.
Ein beispielhaftes Projekt, das das Spannungsfeld zwischen technischen Innovationen und den ökonomischen und gesellschaftlichen Wirkungen beleuchtete, wurde im Jahr 2019 unter Mitarbeit der neuen Fachbereichsleitung durchgeführt. Unter dem Titel „Cooperation for Commuter Research“ (CoCoRe) untersuchten das Bauhaus Luftfahrt sowie drei Institute des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) die technische Machbarkeit eines 19-sitzigen Regionalflugzeugs mit hybridelektrischem Antrieb. Es konnte gezeigt werden, dass ein Flugzeug mit deutlich geringeren Emissionen auch mit heute verfügbaren Technologien durchaus entwickelt werden könnte. Allerdings ist der wirtschaftliche Durchbruch des hybridelektrischen Fliegens von einer Reihe externer Rahmenbedingungen (u.a. Emissionsregularien, CO2-Bepreisung, Strompreise) abhängig. Zudem konnten im Projekt innovative Geschäftsmodelle aufgezeigt werden, die zum Beispiel die Erreichbarkeit von mittelgroßen Städten verbessern können, sofern eine ausreichend große Anzahl von Reisenden mit entsprechender Zahlungsbereitschaft vorhanden ist. Somit könnte der Nutzen einer neuen Flugzeugklasse über reine Umweltaspekte hinausgehen.
Die Luftverkehrspolitik der Zukunft
Neben den technischen Aspekten aus dem Blickwinkel des Gesamtsystems möchte die neue Fachbereichsleitung auch ein Hauptaugenmerk auf regulatorische und luftverkehrspolitische Themen lenken. Die Liberalisierung der letzten Jahrzehnte hat das Wachstum des Luftverkehrs maßgeblich beeinflusst. Die Orderbücher der Flugzeughersteller haben sich nicht zuletzt deshalb gefüllt, weil die Regierungen weltweit die positiven Effekte des Luftverkehrs auf die Volkswirtschaften erkannt und durch die Liberalisierung gefördert haben. Auch in diesem Themenfeld herrschen spannende Interdependenzen zwischen den Interessen der unterschiedlichen Stakeholder, die es näher zu beleuchten, zu diskutieren und zu bewerten gilt. Sollen zum Beispiel Airlines aus Drittstaaten in der EU und Deutschland mehr Verkehrsrechte eingeräumt werden? Was bedeutet dies für die Flughäfen, Fluggesellschaften und die Anbindung Deutschlands an die Welt?
Auch im Themenfeld der Regulierung und Luftverkehrspolitik sind Umweltthemen prioritär zu behandeln, etwa durch eine Diskussion der effizienten und effektiven Gestaltung umweltpolitischer Instrumente. Nur so kann die gesellschaftliche Akzeptanz für den Luftverkehr langfristig sichergestellt und eine erfolgreiche und nachhaltige Entwicklung erzielt werden.
Alle diese Themen möchte die neue Doppelspitze des Fachbereichs in Veranstaltungen analysieren und diskutieren. Dabei wird auch eine intensive Kooperation mit der German Aviation Research Society (GARS) e.V. angestrebt. GARS veranstaltet mehrere Workshops und Seminare zu aktuellen Themen, zum Beispiel in den Bereichen der ökonomischen Regulierung der Flugsicherung, der Effizienzbetrachtung von Flughäfen (Benchmarking) und der Umweltpolitik. Daneben richtet GARS die jährlich stattfindende European Aviation Conference (EAC) aus, die den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis jeweils zu einem spezifischen Thema fördern soll. Coronabedingt wird die nächste EAC erst im Dezember 2021 stattfinden. Das Thema in Heilbronn lautet dann: „Aviation, Climate Change Dynamics & Environmental Policy“.
Kontakt
Wolfgang Grimme
Leitung
E-Mail: wolfgang.grimme(at)dlr.de
Wolfgang Grimme studierte Wirtschaftswissenschaften an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und arbeitet seit 2005 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am DLR-Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr in Köln. Schwerpunkt seiner Tätigkeiten sind regulatorische, luftverkehrspolitische und umweltökonomische Fragestellungen des Luftverkehrs. Daneben ist er als Hochschuldozent und im Vorstand der German Aviation Research Society (GARS) e.V. tätig, einer Diskussionsplattform für die Luftverkehrsforschung mit ökonomischem Schwerpunkt.
Dr. Annika Paul
Stellvertr. Leitung
E-Mail: annika.paul-fbl1(at)dglr.de
Dr. Annika Paul studierte Transportökonomie an der Hochschule Bremen, der Freien Universität Amsterdam sowie der Technischen Universität Dresden und arbeitete von 2010 bis 2023 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bauhaus Luftfahrt, wo sie unter anderem für den Kompetenzbereich Passagier- und Marktentwicklung zuständig war. In ihrer Forschung fokussiert sie sich unter anderem auf die intermodale Vernetzung des Luftverkehrs oder wettbewerbspolitische Fragestellungen in diesem Sektor. Sie ist Mitglied der ACARE Working Group 1, die sich unter anderem mit den Anforderungen verschiedener Luftverkehrsteilnehmer und den daraus resultierenden Lösungsansätzen für das Luftverkehrssystem beschäftigt.